Medizinisch Geriatrische Klinik der Evangelischen Stiftung Augusta

Kombinierte geriatrisch-psychiatrische Behandlung

Eine beträchtliche Anzahl alter Menschen im Krankenhaus leidet an Mehrfacherkrankungen. Die Multimorbidität erklärt sich nicht nur durch die Erkrankung einzelner Organsysteme, sondern bedeutet für eine großen Teil der Menschen Fähigkeitsstörungen mit funktionellen Defiziten und Beeinträchtigung der eigenständigen Lebensführung. Neben der somatisch und körperlich-funktionellen Einschränkung nehmen die psychischen, kognitiven und psychiatrischen Beschwerden an Bedeutung zu. Patienten mit Verhaltensauffälligkeiten stellen Krankenhäuser vor eine große Herausforderung. 20-70% der chirurgisch/internistischen Krankenhauspatienten leiden auch an (prävalenten) psychiatrischen Erkrankungen (8). Eine Reihe der Störungen, insbesondere das Delir entwickelt sich erst während der stationären Behandlung. Die seit Jahren diskutierten interdisziplinären Behandlungsansätze werden mehr und mehr aktuell. Bereits 1980 wurden in New York erfolgreich interdisziplinäre Units eingerichtet – Mount Sinai model (1), die eine interdisziplinäre Behandlung schon ab Beginn der stationären Krankhausbehandlung umsetzen. Hiernach folgten eine Reihe weiterer medizinisch-psychiatrischer Einheiten in den USA, Australien, Kanada, Holland und Japan (2). Das Konzept der interdisziplinären Station (Units) basiert auf der Idee durch ein multidisziplinäres Team bestehend aus psychiatrischer und internistischer Expertise synergistische Effekte zu generieren. Die synergistischen Effekte beziehen sich auf alle Bereiche, also Diagnostik, Therapie, technisches Equipment und medizinische Kompetenz (Arzt, Pflege, Therapeuten).

Der Standort in Bochum Linden mit den Abteilungen der Medizinischen Geriatrie und der Gerontopsychiatrie unter einem Dach bietet optimale Voraussetzungen für eine interdisziplinäre Betreuung alter Menschen. Wir nutzen seit Jahren aufgrund der gut funktionierenden Zusammenarbeit die oben beschriebenen synergistischen Effekte. Falls erforderlich, erfolgt bereits bei Aufnahme der medizinische/psychiatrische Support der korrespondierenden Abteilung mit ober- oder chefärztlicher Anbindung einschließlich Weiterbetreuung.

Die Interdisziplinarität des Standortes wird von vielen niedergelassenen Kollegen geschätzt, Einweisungen erfolgen häufig unter dem Bild eines akuten Verwirrtheitszustandes - oftmals ausgelöst durch ein internistisches-geriatrisches Problem (z.B. Fieber bei Infekt, Luftnot bei Herzinsuffizienz).

In Abhängigkeit der Schwere und Ausprägung der Erkrankung lassen sich nach Kathol vier Patientenkategorien definieren (3)

  • Typ I: Primär psychiatrische Erkrankung mit niederschwelliger geriatrischer Betreuung
  • Typ II: Primär geriatrische Erkrankung mit niederschwelliger psychiatrischer Betreuung
  • Typ III: Primär schwere psychiatrische Erkrankung mit mäßig schwerer geriatrischer Betreuung (psychiatrisch steht im Vordergrund)
  • Typ IV: Primär schwere geriatrischer Erkrankung mit mäßig schwerer psychiatrischer Betreuung (geriatrisch steht im Vordergrund).

Die interdisziplinäre Betreuung ist für alle Patientenkategorien Voraussetzung. Die Typen I-II lassen sich fachbezogen auf der Normalstation behandeln und durch einen engen konsiliarischen Standby übergreifend mitbetreuen. Für die Typen III-IV findet die Behandlung zumeist auf der Überwachungseinheit statt. Aufgrund des Schweregrades der gleichzeitig somatisch und psychiatrisch vorliegenden Erkrankungen ist eine engere interdisziplinäre Zusammenarbeit eine logische Konsequenz. Studien von Maier, Wächtler und Hoffmann konnten unter diesen strukturellen Voraussetzungen beachtliche Behandlungserfolge erzielen(4,5). Die Anzahl an internen und externen Verlegung ließ sich reduzieren, die Krankenhausliegezeit nahm signifikant um mehr als 4 Tage ab, der Ressourcenverbrauch verringerte sich. Darüber hinaus stieg die Zufriedenheit in der Patientenbetreuung.

Viele auf der hiesigen Gerontopsychiatrie behandelten Patienten leiden an einer Schizophrenie, an einer Manie oder einer Depression und sind darüber hinaus oft körperlich „miterkrankt“. In diesem Falle ist es wichtig geriatrisch-internistische Kollegen hinzuzuziehen, um bei einer psychischen Erkrankung eine körperliche Ursache wie z.B. eine Schilddrüsenunter- oder -überfunktion auszuschließen bzw. adäquat mit zu behandeln. Auf der anderen Seite leiden viele Patienten in der geriatrischen Klinik unter psychiatrischen Störungen (z.B. Depressionen), bei denen sich ohne gerontopsychiatrische Begleittherapie der somatische Behandlungsverlauf verlängert oder nicht zur adäquaten Genesung führt.

Mit dem zu erwartenden Anstieg der Demenzerkrankungen (momentan 1,6 Mio. in Deutschland) wird die Betreuung von Delir-Patienten im Krankenhaus an Bedeutung zunehmen. Sowohl die Akutbehandlung bei stationärer als auch die konsiliarisch begleitende Betreuung während des stationären Aufenthaltes stellen die Krankenhäuser in Zukunft vor große Herausforderungen. Auch aus diesem Grund hat die interdisziplinäre Ausrichtung eine gute Perspektive.

Literatur:

  1. Goodmann B, Combined psychiatric-medical inpatient units: the Mount Sinai model; Psychosomatic 1985, Issue 26:179-189
  2. Kathol RG et al.;Against oll odds; Gen Hosp Psychiatry, 1998, 20:71-72
  3. Kathol RG et al., Categorization of Types of Mediacal Units Based on Level of Acuity; Psychosomatics, 1992, Issue 4:376-386
  4. Maier AB et al, Combines medical-psychiatric inpatient units; Z Gerontol Geriat 2007 40: 268-274
  5. Wächtler C, Zentrum für Ältere - Patientenorientiert, zeitsparend, wirkungsvoll, Deutsches Ärzteblatt 2005 Jg 102, Heft 43:A2924
  6. Stiebel V et al, Physicians at the Medicine/Psychiatric Interface: What do Internist/Psychiatrists Do?, Psychosomatics, 2001; Issue 5:377-381
  7. Kathol RG et al. Rethinking the place of the psyche in health: toward the integration of health care systems; Aust NZJ Psychiatry 2005; 39:816-825
  8. Fulop G et al. A prospective study of the impact of psychiatric comorbidity on length of hospital stays of elderly medical-surgical inpatients; Psychosomatics 1998, 39:273-280
  9. Wancata J, Recognition of psychiatric disorders in nonpsychiaric hospital wards. J Psychosom Res 2000, 48:149-155